Heimatkalender Oktober 2004

Eine Tür mit Geschichte in Barförde

Man zieht unweigerlich den Kopf ein, wenn man durch diese Tür im Gehöft von Hans und Renate Röhr, Barförder Elbdeich 19, in Barförde tritt. Das ist erklärlich: Als diese Tür vor langer Zeit gebaut wurde, waren die Menschen auch noch mehrere Zentimeter kleiner als heute.

Der Ort Barförde wird bereits 1160 urkundlich erwähnt, Holländer sollen damals die ersten Schutzwälle gegen die Elbe errichtet und das Land durch Gräben entwässert haben - dadurch entstand die typische Marschhufen-Landschaft. Schon im 17. Jahrhundert stand auf dem Land der Familie Röhr ein Bauernhof - und im ersten Kirchenbuch von 1646 tauchen die Namen Hans und Hinrich Röhr auf. In der Gemarkungskarte von 1728 ist die alte Hofstelle durch eine gestrichelte Linie dargestellt und weiter landeinwärts die neue Hofanlage eingezeichnet. Früher lagen die Höfe dicht hinter dem Deich, der damals der Hauptverkehrsweg war. Jeder Anrainer mußte seinen Deichabschnitt selbst pflegen und erhalten - und wer dies nicht tat, wurde durch Enteignung ("Wer nicht will deichen, der muß weichen") und manchmal sogar Tötung bestraft, wenn der Deich durch sein Verschulden brach.

Daß das Gehöft der Familie Röhr auf gefährlichem Grund erbaut worden ist, kann man sich angesichts seiner idyllischen Lage erst seit der großen Flut im August 2002 vorstellen, deren Gewalt wir alle selbst erlebt haben. Bei einem Deichbruch am 2. Ostertag 1709 wurde der erste Hof zusammen mit zwei Nachbargehöften weggespült. Bis zum Deich-Neubau 1978 war an der Bruchstelle nordöstlich vom Hof noch ein Brack mit Qualmstelle (= bei Hochwasser der Elbe quillt hier Wasser aus dem Boden) zu sehen, das dann endlich mit Sand aus der Elbe zugespült wurde. Im Jahre 1715 wurde der neue Hof ca. 200 Meter landeinwärts errichtet. An den Ort der alten Hofstelle erinnern heute nur ein paar uralte, knorrige Birnbäume, die noch heute Früchte tragen.

Aber Gefahr drohte nicht nur vom Wasser der Elbe, sondern unerwartet auch aus der Luft: Am Nachmittag des 29. Juni 1857 verdunkelte sich der Himmel, und eine Windhose tobte über Barförde hinweg, hinzu kam Hagelschlag. Es entstand so viel Schaden, daß im "Lüneburger Anzeiger" und vielen anderen Zeitungen Berichte und "Hülferufe" erschienen und Spenden aus nah und fern eingingen. Auch das Wohngebäude der Familie Peter Röhr wurde zerstört, und ein Mann starb an den Folgen eines Beinbruches. Die im Amtsbuch aufgelisteten Schäden am Hof sind: Wohnhaus und Stall 1500 Reichstaler, außerdem 20 Humpen Roggen, 3 Humpen Gerste, 1 Humpen Erbsen, Kartoffeln, Hanf, Flachs, Gartenfrüchte, Obst.

Im Jahre 1859 erbaute Johann Friedrich Röhr das heutige Wohnhaus, innen aus Lehmfachwerk, außen mit Klinkern ummauert. Seine Initialen finden sich in dem weißen Oberlicht der Tür, zwischen Vor- und Nachnamen ein Kreuz, dahinter die Jahresangabe Anno 1859. Die aus Holz gesägten Buchstaben und Zahlen sind mit Glas hinterlegt. Die schwere zweiflügelige Tür aus deutlich gemasertem Kieferholz wirkt allerdings so, als ob sie nicht für dieses Haus neu gebaut wurde, sondern älter ist. Vielleicht haben sie die Bauern in ihrer Not aus den Trümmern des zerstörten Hauses geborgen und im neuen Haus wieder verwendet. Dafür sprechen viele Anzeichen: Die Tür ist mit 200 Zentimetern deutlich niedriger als normale Einganstüren (220 cm) und als die Aussparung im Mauerwerk. Der Türrahmen endet oben mit einem breiten Überstand, über dem das Oerlicht und ein Holzsturz eingesetzt sind, um die neue Raumhöhe zu erreichen. Die Tür mit ihren acht Kassetten ist grob gearbeitet. Das alte Kastenschloß hat keinen Schlüssel, sondern nur einen von innen vorschiebbaren Riegel, das "Schlüsselloch ist nur eine aufgesetzte Attrappe - ein ungewöhnliches Schloß. Auch die groben Scharniere, Riegel und Beschläge aus Eisen wirken sehr alt, ebenso die Klinken aus Messing und Eisen. Auch die Klingel ist aus alten Zeiten: eine gestielte Eisenhalbkugel mit einem Klöppel, der beim Öffnen der Tür anschlägt. Neu ist nur ein messingfarbener Briefschlitz im Holz, der die Harmonie etwas stört.

1995 machten sich Renate und Hans Röhr eigenhändig daran, die alte Tür aufzuarbeiten. Beim Schleifen stießen sie auf mehrere vorherige Farbschichten, unter anderen blaue und beige Farbtöne. Mit viel Mühe beizten und schliffen sie das Holz frei, paßten sich in ihrer Farbwahl dem letzten Anstrich an - hell- und dunkelbraun abgesetzt. Da die Tür in gutem Zustand ist und Familie Röhr sie zu schätzen weiß, wird sie hoffentlich noch lange erhalten bleiben.

Bild und Text: Karin-Ose Röckseisen, Scharnebeck

Alte Haustür in Barförde

Haustür mit Renate und Hans Röhr
Renate und Hans Röhr, Barförder Elbdeich 19, vor ihrer Haustür

Originallayout

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Heimatkalender Oktober 2004, 1. Blatt
Heimatkalender Oktober 2004, 2. Blatt