Tag des offenen Denkmals 2014

St. Marien als evangelische Kirche

Oft fahren Touristen vorbei, einmal, weil nur wenige Wegweiser auf unsere Kirche hindeuten, zum anderen, weil gerade im Sommer durch die Belaubung hoher Bäume Kirche und Turm kaum zu erkennen sind und deshalb nicht anlocken.

Diese Kirche und ihr Areal sind aber sehenswert, auch weil hier ihre eine alte Geschichte wieder lebendig wird; das heutige Gotteshaus ist aus der Verkleinerung der ehemaligen Abteikirche eines Zisterzienserklosters (in Scharnebeck gegründet 1253) hervorgegangen, dessen zahlreiche Überreste noch zu bestaunen sind.

Das Kloster wurde im Zuge der Reformation am 23. Oktober 1531 aufgelöst, dem Landesherrn, Herzog Ernst dem Bekenner, zur Verwaltung übergeben und damit landesherrliche Domäne. Der letzte Abt, Heinrich Radbruch, wurde erster evangelischer Superintendent in Lüneburg; die noch verbliebenen Klosterbrüder Lehrer und Küster in der Umgebung Scharnebecks. Wie die alte Anlage um 1650 ausgesehen hat, also bereits zu evangelischen Zeiten, zeigt der bekannte Merian-Stich von 1650 (Bild 1).

Das Münster, das zur Klosterzeit nur den Mönchen vorbehalten war, wurde nun der Gemeinde übergeben. Endlich konnten hier Gottesdienste für die Bevölkerung gehalten werden, die bisher die umliegenden Kapellen und Kirchen besuchen mussten.

Ein solcher Bau konnte aber auf Dauer von der Gemeinde nicht instand gehalten werden, und so verfiel allmählich das gewaltige Gebäude, dessen Ausmaße das Vierfache [58 x 41 Meter] der heutigen Kirche [35 x 10,5 Meter] betrug. Die Zeiten des 30jährigen Krieges taten ein übriges. Das Pfarrdenkbuch, der wichtigsten Quelle seit 1686 über die Kirche und Gemeinde, vermeldet diesen jämmerlichen Zustand des Gotteshauses (Bild 2); es bestand akute Einsturzgefahr.

1712 wurde dann mit dem Abriss des begonnen, der schon bis in die obere Fensterreihe vorangeschritten war. Es ist dem Landesoberbaumeister Caspar Borchmann zu verdanken, dass er das weitere Abtragen im letzten Moment gestoppt hat und damit den alten Chor und Teile der alten Vierung gerettet hat. Dieser Bestand wurde das Herzstück der von ihm entworfenen und 1723 gebauten Dorfkirche.

Zu Pfingsten 1724 wurde dieses Haus in einem feierlichen Gottesdienst geweiht und durfte den Namen St. Marien behalten. Dem Landesherrn Georg I., der seit 1714 auch König von England war und den Neubau finanziell tatkräftig unterstützt hat, wurde mit einem Wappen über dem Eingang, das die englischen Besatzungssoldaten 1945 erstaunte, gedankt.

Borchmann baute zur gleichen Zeit auch die St. Georgskirche in Gartow, die als die Schwester der Scharnebecker gilt.

Dem wuchtigen „Turm“ wurde bereits im Jahre 1844 im Verlauf einer Renovierung Haube und Wetterfahne mit der Jahreszahl 1844 aufgesetzt, die einige Besucher fälschlicher Weise für das Baujahr der Kirche halten.

Das Innere der Kirche wurde mehrmals grundlegend verändert; geblieben aber ist der typische Kanzelaltar, der in evangelischen Kirchen auf die gleichrangige Bedeutung von Wort (Predigt) und Sakrament hinweist. Auf einer Fotographie vor der letzten Renovierung 1959/60 ist noch die hölzerne Taufe hinzugefügt, die aus dem frühen 17. Jahrhundert stammt, 1907 restauriert und 1960 farblich in den jetzigen Zustand versetzt wurde (Bild 3). In den Boden ist eine alte Taufschale aus Messing, mit der Darstellung Mariens und des Engels eingelassen, der ihr die Geburt Jesu verkündet [Lukas 1, 31]; darunter, in Holz eingearbeitet, das Symbol der Taufe Jesu im Jordan mit der Taube des Heiligen Geistes [Markus 1, 10].

Die beiden ehemals geschlossenen Priechen (Sitzplätze für Honoratioren), deren Zugänge durch die Sakristei und den Gedenkraum heute noch erhalten sind (Bild 4), wurden zurückgebaut, so dass die Emporen bis zu den beiden aus der Mauer hervorwölbenden halbrunden Säulen, die noch der alten Klosterkirche angehörten, reichen.

Durch diese Umbauten und Renovierungen vermittelt der helle Kirchenraum heute einen harmonisch-stillen Eindruck.

Im südlichen Nebenraum, der heute als Andachtsraum hergerichtet wurde, hängt ein Retabel, die wohl aus der frühen evangelischen Zeit stammt. Sie zeigt den Auferstandenen mit Siegesfahne und die zu Boden gefallenen Wächter (Bild 5).

Die Holzkreuze der Gefallenen des 1. Weltkrieges, die ursprünglich an der Empore im Kirchenschiff, später an den Wänden des Gedenkraumes (= heute Andachtsraum) angebracht waren, ruhen in einer Kiste. Nur am Volkstrauertag werden sie dort wieder angebracht.

An der Nordwand rechts der Tür zur Sakristei hängt seit 1961 as moderne Kreuzigungsbild „Golgatha“ des Scharnebecker Malers Otto Meyer (Bild 6).

Zu den evangelischen Pastoren seit der Reformation sind viele interessante Geschichten zu erzählen, besonders zu Pastor Ernst Fricke, der während der Zeit des Nationalsozialismus aufrecht und mutig den christlichen Glauben vertreten und verteidigt hat.

Sehr aufschlussreich und interessant gestaltet sich der Überblick über die verschiedenen Umgestaltungen des Innenraumes der Kirche seit ihrer Fertigstellung 1723, die schließlich zum heutigen schönen Erscheinungsbild dieses Gotteshauses geführt hat.

[Hans-Henning Rausch, Scharnebeck]

Foto H.-H. Rausch, Scharnebeck

Bild 1: Merian-Stich Scharnebeck 1654

Foto H.-H. Rausch, Scharnebeck

Bild 2: Titelseite des Pfarrdenkbuches

Foto H.-H. Rausch, Scharnebeck

Bild 3: Hölzerne Taufe (restauriert)

Foto: unbekannt

Bild 4: Kirchenschiff mit Priechen (vor 1959)

Foto H.-H. Rausch, Scharnebeck

Bild 5: Das Retabel

Foto H.-H. Rausch, Scharnebeck

Bild 6: Otto Meyer, Golgatha